Stefan Matschiner hat ein Buch geschrieben. Über sich. Über Doping. Über die Parallelwelt Leistungssport. Ich habe mit ihm ein Interview für Zeit-Online geführt: „Nur die Dummen werden erwischt“. Wie so oft ließ sich nicht alles unterbringen, daher hier im Blog noch ein paar Anmerkungen. Unter anderem zu deutschen Dopern und Doping im Triathlon.
Ich habe das Buch komplett gelesen und finde, dass sich die knapp 20 Euro lohnen. Es ist eine Autobiografie. Matschiner schreibt deshalb viel über sich selbst. Über seine Kindheit, über seine eigene Karriere als Mittelstreckler. Für mich war das in Ordnung. Als Läufer – wenn auch nur selten und ungern auf der Mittelstrecke unterwegs – habe ich diese Passagen durchaus mit Interesse gelesen. Das Buch verdeutlicht, wie das System Doping, das System Hochleistungssport funktioniert, wie viel organisatorischer Aufwand und wie viel Wissen dahintersteckt. Das liest sich gut und flüssig. Ich habe schon schlechtere Doping-Bücher gelesen. Und deutlich schlechtere Sport-Biografien. Wer das Buch aber ausschließlich kaufen will, um neue Infos über konkrete Dopingsünder zu bekommen, dem dürften Presse-Veröffentlichungen und Interviews genügen. Matschiner anonymisiert alles, was öffentlich bislang nicht bekannt war.
Selbst an Stellen, an denen man denkt, man hätte ihn gepackt – und eine Anonymisierung aufgelöst – widerspricht Matschiner. In verschiedenen Medien war berichtet worden, der Langläufer Christian Hoffmann und Radprofi Michael Rasmussen (meine beiden Lieblingsfotos von ihm finden sich hier und hier) hätten gemeinsam mit Bernhard Kohl von Matschiner angeschaffte Geräte zum Eigenblutdoping finanziert. In seinem Buch „Grenzwertig“ hat Matschiner die Namen der beiden Mitbesitzer jedoch mit den Pseudonymen „Bob“ und „Toni“ verschlüsselt. Und das, obwohl er Hoffmann und Rasmussen in anderen Zusammenhängen durchaus mit Namen benennt. Außerdem können den beiden durch das Buch einige weitere Dinge zugeordnet werden, wenn man „Bob“ = Hoffmann und „Toni“ = Rasmussen setzt. Hat Matschiner sich mit den Pseudonymen vertan? Oder waren Hoffmann und Rasmussen doch nicht am Kauf der Blutdoping-Geräte beteiligt? Matschiner schreibt auf Nachfrage, man solle doch bitte keine Zeitung lesen, sondern die Protokolle der Polizei. Weiter könne er sich nicht äußern, sonst würde er seine Pseudonyme ad absurdum führen. Ein Fehler der bislang berichtenden Medien oder Matschiners?
Interessant an Matschiners Buch ist auch ein darin enthaltenes Interview mit Walter Mayer. Mayer teilt recht pauschal aus. Bei einigen Äußerungen hätte ich mir konkretere Angaben gewünscht. Im Hinterkopf sollte man solche Äußerungen aber behalten. Drei Beispiele, die Deutschland betreffen:
- Über Thomas Bach und die Verurteilungen der Österreicher nach dem Turiner Doping-Skandal, die laut Mayer nur so hart ausfielen, weil ein Exempel statuiert werden sollte: „Die Olympiabewerbung ist dazugekommen. Der Fall Turin spiegelt das Sportrecht wider, dass gewisse Funktionäre ihre Positionen machtpolitisch nützen, um sich so zu positionieren, dass es für sie von Vorteil ist. In der Sportrechtssprechung ist die Gewaltentrennung praktisch nicht vorhanden – wie in einer Diktatur. Es ist mir unerklärlich, wie ein IOC-Vizepräsident die deutsche Nation in Turin als Chef des Olympischen Sportbundes führen, die Untersuchungen gegen Österreich leiten und dann als Richter am Sportgerichtshof den Fall behandeln kann. Hier ist Manipulationen Tür und Tor geöffnet.“
- Über sportmedizinische Einrichtungen in Deutschland, im Speziellen das Ski-eistungszentrum Oberhof: „Ich habe mir in Thüringen das Leistungszentrum angeschaut, das ist ärztlich und strategisch verankert – unglaublich. Zu dem einen oder anderen Betreuer hatte ich Kontakt. Der sagt dir dann bei einem Glas Bier oder mehreren, sie verstehen nicht, warum unsere Leute bei Humanplasma selbst dazuzahlen mussten. Das sind Leute, die ich nicht belasten will. Aber es kommt der Realität sehr nahe.“
- Über die Leistungsentwicklung deutscher Athleten nach dem Auffliegen der Doping unterstützenden Sportmedizin in Freiburg: „Es gab ja nicht nur Freiburg. Die Leistungskurve ist nach meinem Empfinden eher durch die Nachweisbarkeit von Dynepo um etwa ein halbes Prozent zurückgegangen. So wie in Russland, als die Biosimilar nicht mehr hatten, in Italien, als CERA nachweisbar wurde.“
Auch Matschiner belieferte deutsche Athleten mit Doping. So hatte er 2009 in der ARD-Doku „Geheimsache Doping“ vor der Leichtathletik-WM gesagt, er habe auch einen deutschen Top-Leichtathleten mit Designer-Steroiden versorgt. Und im Buch schreibt er, ein deutsches Regierungsmitglied habe im Jahr 2000 einen Blutbeutel zu den Olympischen Spielen nach Sydney transportiert.
Dem ZDF sagte Matschiner zuletzt, dass zu 99,99 Prozent keine Deutschen bei der Blutbank Humanplasma gewesen seien. Das weckt Erinnerungen an den Winter 2008, als verschiedene Medien und schließlich Doping-Journalist Hajo Seppelt in der ARD über den Verdacht berichteten, etwa 20 deutsche Athleten seien Kunden bei der Humanplasma gewesen. SWR-Sportchef Michael Antwerpes entschuldigte sich kurz darauf vor laufender Kamera für Seppelts „journalistische Fehlleistung“, wie Antwerpes sich ausdrückte. Zapp hat das Ganze etwas später in einem Video zusammengefasst. In dem Zehnminüter kritisiert unter anderem der ehemalige ZDF-Sportreporter Jörg-Michael Junginger die Jubel-Berichterstattung über Biathlon. Aber das ist ein eigenes Thema.
Jens Weinreich arbeitete die Geschichte um Hajo Seppelts voreilige Vorab-Meldung und den pawlowschen Reflex der Medien umfassend auf – inklusive inzwischen über 400 Kommentaren und Links zum Thema. Da Seppelt seinen Verdacht später nicht mit Dokumenten belegen konnte, blieb es beim Verdacht. Eine einstweilige Verfügung des Deutschen Ski-Verbandes konnte Seppelt vor dem Oberlandesgericht Hamburg aber kippen. Der Ski-Verband konnte ihm die Verdächtigungen nicht verbieten, da er als Organisation nicht selbst betroffen war, so das Oberlandesgericht. Stattdessen hätten einzelne Athleten klagen müssen. Was aber wohl nicht heißt, dass die Verfügung in diesem Fall automatisch zulässig gewesen wäre. Zwei Jahre nach dem Blutbank-Wirbel sendete die ARD jedenfalls vor den Winterspielen in Vancouver die halbstündige Doku „Geheimsache Doping – Eiskalter Betrug“, in der auch ein anonymer nordischer Ski-Sportler auftritt, der den verbreiteten Gebrauch von EPO und Wachstumshormon im Wintersport beschreibt. Gefunden habe ich die Doku leider weder in der ARD-Mediathek (verdammte Depublikationspflicht) noch bei Youtube.
Bleibt die Frage: Wo sind die 20-30 deutschen Humanpasma-Wintersportler hin?
Zurück nochmal zu Stefan Matschiner: Ich habe ihn auch zum Doping im Triathlon befragt. Seine ersten Dopingmittel hat Matschiner nach eigener Aussage als 25-Jähriger am Rande der Triathlon-Messe des Ironman-Austria von einem Triathleten bezogen – das war im Jahr 2000. Ansonsten hatte er „nicht so viel Kontakt“ zur Triathlon-Szene, wie er sagt. Zwar nahm Matschiner früher selbst an ein paar Triathlons teil und managte auch mal ein Triathlon-Team, dort sei es aber nicht um Doping gegangen. Neben Lisa Hütthaler will Matschiner aber noch zwei weiteren Triathleten Doping-Mittel besorgt haben. Sie gehörten laut Matschiner zur nationalen Spitze, liefen bei Ironmans unter die ersten Fünf. Aus welchem Land sie kommen, will Matschiner aber nicht verraten.
Spricht man deutsche Triathleten oder Funktionäre auf Lisa Hütthaler an und auf ihre Behauptung, im Triathlon sei Doping ganz normal, es gehöre dazu wie Essen, Schlafen und Training, wird – wen überrascht es – über Hütthaler geschimpft. Sie habe ohnehin kein Talent gehabt, höchstens zweitklassig sei sie gewesen. Durchgeknallt sowieso. Und sie komme nicht damit klar, keinen Erfolg gehabt zu haben und müsse daher andere in den Dreck ziehen. Für Matschiner sind das die typischen Abwehr-Reaktionen der Branche. „Das kotzt mich an, wenn ich so etwas höre. Man muss sich doch nur mal anschauen, wo die Leute, die so etwas sagen, bei internationalen Meisterschaften landen. Das beantwortet doch schon alles.“ Die Verbreitung von Doping im Triathlon schätzt Matschiner als relativ hoch ein. „Triathlon stelle ich persönlich auf eine Stufe mit dem Radsport. Aber auch anderswo gibt es denselben Durchseuchungsgrad. Alles immer am Radsport abzuladen wäre verkürzt dargestellt.“
Roland Knoll, Herren-Bundestrainer der Deutschen Triathlon Union, behauptet, die allermeisten Dopingfälle im Triathlon rührten daher, dass die betreffenden Athleten Kontakte zu anderen Sportarten – im Speziellen zum Radsport oder der Leichtathletik – gehabt hätten oder gar aus diesen Sportarten zum Triathlon gewechselt seien. Reine Triathleten würden dagegen nicht dopen. Die Sportart sei jung und entwicklungsfähig, die Leistungen noch mit normalen Mitteln zu erzielen. Matschiner reagiert, auf diese Theorie angesprochen, amüsiert. „Das ist ja eine nette Erklärung. Aus meiner Sicht aber völlig fern der Realität.“
Matschiners Buch „Grenzwertig“ ist im riva-Verlag erschienen.
25. Januar 2011 -
Sehr guter Beitrag, der allerdings einen immensen Haken hat. Inhaltlich bin ich sehr geneigt, Herr Matschiner Glauben zu schenken. Leider hat er -wie so viele vor ihm- ein bedeutendes Glaubwürdigkeitsproblem. Erst ist er kriminell, dann wird er erwischt und verurteilt. Wenn er dann nichts mehr zu verlieren hat, packt er aus und schlägt mit einem Buch noch mal Kapital daraus…
Schön wäre es, wenn sich mal jemand ohne Not aus der Szene der Doper verabschieden würde um öffentlich Dinge anzuprangern. Leider -wenn auch menschlich verständlich- tun das die Mitwirkenden erst dann, wenn es sie erwischt hat (siehe Hütthaler, Matschiner, Jaksche um nur einige Beispiele zu nennen) oder sie nicht mehr aktiv im Sport sind (da gibt es ja sehr viele: Aldag, Zabel und diverse Belgier, um nur einige zu nennen). Aber sind sie dann glaubwürdiger als der aktive Sportler, der es abstreitet? Ich weiß es nicht.
Und was bleibt dem geneigten Sportkonsument? Soll er einem ehemaligen Betrüger glauben? Soll er jetzige Spitzensportler alle verdammen? Wütend sein? Oder ihnen glauben, solange nichts bewiesen ist?
Muss jeder selber wissen. Und soll ich das Buch vielleicht doch kaufen….?
26. Januar 2011 -
Ich empfehle: Skeptisch zuschauen. Möglichst viele Infos sammeln. Im Einzelfall entscheiden, wie glaubwürdig jemand ist. Und: Hinter vielen Verdachtsmomenten steckt ein wahrer Kern.
Jens Weinreichs Checkliste zur Doping-Berichterstattung eignet sich zum Teil auch für den interessierten Zuschauer: http://www.jensweinreich.de/2008/08/18/peking-tag-18/
Das Glaubwürdigkeitsproblem lässt sich leider nicht umgehen.
2. Februar 2011 -
[…] Interview, das ich für Zeit-Online geführt habe, kann ich – als Ergänzung zum Beitrag über Deutsche Doper und Doping im Triathlon – jetzt auch hier im Blog in der XXL-Version anbieten. Vielen […]