Dopingexperte Andreas Singler spricht im Interview (zum lesen und hören) über politische Hintergründe des Anti-Doping-Kampfes und erklärt, wie schädlich es ist, dass der deutsche Sport selbst im Jugendbereich schon eine konkrete Zahl von Medaillen fordert.
Singler arbeitet am Heidelberger Zentrum für Dopingprävention und ist Assistent der Freiburger Evaluierungskommission von Letizia Paoli zur Untersuchung des Dopings an der dortigen Uniklinik. In den vergangenen Jahren hat er gemeinsam mit Perikles Simon selbst ein Projekt beim Nationalen Dopingpräventionsplan beantragt. Es war bereits teilweise vom Land Rheinland-Pfalz vorfinanziert, wurde von der Steuerungsgruppe aber abgelehnt (mehr im Audio ab Minute 12:15). Ende 2011 erschien seine Studie „Dopingprävention – Anspruch und Wirklichkeit“, die Grit Hartmann damals im Deutschlandfunk besprochen hat. Anfang 2012 veröffentlichte Singler seine Doktorarbeit: „Doping und Enhancement“.
Das nur leicht gekürzte Gespräch zur Dopingprävention gibt es hier erstmals als 20-minütigen Podcast.
Für alle, die lieber lesen: Die etwas gekürzte, schriftliche Fassung:
Wie gut ist die Dopingprävention in Deutschland?
Andreas Singler: Ich glaube dass wir so etwas wie Dopingprävention im eigentlichen Sinne fast überhaupt nicht haben in Deutschland. Wirklich innovative Prävention sehen wir nicht.
Es wird viel über Dopingprävention geredet, es gibt die Projekte von NADA und DOSB – warum ist das keine echte Dopingprävention?
Singler: Eine Präventionsrhetorik wird sicher verbreitet, das ist richtig. Wenn man aber genauer schaut, sieht man, dass da nur Aufklärung und Information betrieben werden. Die gehören sich dazu, aber als Hauptkonzepte ist zu wenig. Das gilt in der Lehre als veraltet und ineffektiv. Das weiß man aus anderen Bereichen wie der Suchtvorbeugung.
Sie haben in Rheinland-Pfalz die Einstellung von Jugendtrainern zur Prävention untersucht. Was ist deren Einstellung?
Singler: Schlechten Willen habe ich bei denen nicht gesehen, im Gegenteil. Aber auch eine Unkenntnis, was Prävention eigentlich ist. Das ist im Sport nicht kultiviert, grade beim Doping. Das hat sicher auch starke politische Hintergründe.
Was heißt politische Hintergründe?
Singler: Ich denke, dass das politisch nicht gewollt ist. Die Sportstrukturen in Deutschland funktionieren von oben nach unten, autoritär, auch bei der Dopingprävention. Ich hatte einen sehr extremen Fall von einem Vizepräsidenten, der im Bundesverband für Doping zuständig ist. Er hat sich auf Landesebene nicht an meiner Studie beteiligt und hat wohl auch darauf hingewirkt, dass andere das auch nicht tun. Das sollte oben geregelt und nach unten durchgereicht werden. Und nicht Graswurzelmäßig, wie Prävention eigentlich funktioniert.
Warum funktioniert das nicht, wenn man es von oben nach unten macht?
Singler: Weil Prävention aus den Herzen der Menschen kommen muss, um es mit dem neuen Bundespräsidenten zu sagen. Der Sport muss sich, wenn er es wirklich ernst meint, selber kritisch in Frage stellen. Und das hat er noch nicht ausreichend getan, er ist nicht ehrlich genug, er hat sich noch nicht als Teil des Problems identifiziert. Wenn man soweit nicht bereit ist zu gehen, werden falsche Schlüsse gezogen und nach unten durchgereicht. Und dann kommt am Ende nichts dabei raus.
Der Sportler ist für seinen Körper verantwortlich, der muss die Dopingmentalität ablegen – aber die äußeren Einflüsse werden nicht thematisiert.
Singler: Genau. Die Verantwortung für das Dopingproblem wird komplett in den einzelnen Athleten, vielleicht noch in sein näheres Umfeld ausgelagert. Der schwarze Peter ist damit weg, die Verantwortung beim einzelnen Athleten, aber nicht mehr bei der Sportorganisation oder der Sportpolitik.
Bei der Leichtathletik-WM 2009 hatte Eike Emrich, damals DLV-Vizepräsident Leistungssport, darauf hingewiesen, dass die Sportler doch Spaß haben sollen – und man nicht immer so strikt auf die Medaillen gucken soll.
Singler: Das kann schonmal vorkommen, dass ein ehrenamtlicher Funktionär das richtige sagt und meint, dass aber die hauptamtliche Arbeitsebene nicht interessiert ist. Als Beispiel würde ich die geheimen Zielvereinbarungen des DOSB mit den Fachverbanden nennen. Dort wird ja beschrieben, wie viele Medaillen man international gewinnen möchte. Trainer werden da einer jährlichen Wirksamkeitsüberprüfung unterzogen. Da kann man sich ausrechnen, unter welchem Druck schon ein Jugendtrainer gesetzt wird, Medaillen zu erzeugen. All diese Verhältnisse machen Doping wahrscheinlicher. Das zeigt eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen den Leistungsabteilungen in den Verbänden und im BMI und den Dopingbekämpfern draußen im Feld. Auch die Funktionäre bei meiner Befragung in Rheinland-Pfalz halten die Dopingbekämpfung wegen solcher Dinge für unglaubwürdig. Die glauben einfach nicht, dass die höchsten Leistungserwartungen mit den Anti-Doping-Bekenntnissen zusammenpassen.
Jetzt ist der Nationale Dopingpräventionsplan das Aushängeschild. 300000 Euro, runder Tisch , rund 50 beratende Experten. Halten den Plan für eine sinnvolle Einrichtung?
Singler: Er könnte sinnvoll sein, wenn er Wissen zusammenführen würde. Prävention funktioniert aber nicht so, dass man so ein Domestizierungsinstrument installiert, mit dem man von oben nach unten durchsetzt, was gemacht werden soll. Und was nicht gemacht werden soll. Denn wenn man es mit der Prävention zu ernst nimmt, dann kann es durchaus sein, dass einem die jungen Sportler davon laufen, wenn sich die Verhältnisse im Sport nicht ändern. Vielleicht ist das auch der Grund, warum wir in Deutschland bisher keine effektive Prävention sehen.
Viele von den Projekten werden von der NADA oder dem DOSB durchgeführt. Die Projekte werden von einer Steuerungsgruppe vorausgewählt. Die ist mit NADA, DOSB, Bund und Ländern besetzt. Ist es mit so einer Konstellation überhaupt möglich, die Verhältnisse, die Zielvereinbarungen, den Druck zu thematisieren?
Singler: Nein. So lange der Staat so ein hohes Interesse an Medaillen hat, glaube ich nicht, dass wir da deutliche Verbesserungen sehen werden.
Was müsste sich ändern, damit die Dopingprävention in Deutschland zu echter Prävention wird?
Singler: Möglich ist ja, dass sich interessierte Gruppen einfach selbst organisieren. Das ist nur sehr schwer, wenn man da keine Unterstützung hat. Aber das föderale System hat ja nicht nur Nachteile. Die von Rheinland-Pfalz in Auftrag gegebene Studie zur Dopingprävention wäre bundesweit so nicht gelaufen. Auch die Art, wie die Studie angelegt war: Da bestand ein Interesse, wirklich was rauszufinden. Das zeigt, dass es möglich ist, dezentral etwas auf die Beine zu stellen. Auch im Verein oder einer Schulklasse. Man kann vielleicht hoffen, dass der Verdruss über das Sportsystem irgendwann so groß ist, dass sich viele Graswurzelbewegungen bilden, die ein völlig anderes Konzept fahren. Wenn der Spitzensport sich nicht vorsieht, verliert er viele Sympathisanten.
Glauben Sie das wirklich? Ich habe nicht den Eindruck, als würden sich die Leute in der Breite wirklich darüber aufregen.
Singler: Ich glaube, dass es viele gibt, die Spitzensport mögen, aber nicht um jeden Preis. Die auch sagen: Für mich muss keiner eine Medaille holen. Das kann er für sich versuchen, aber er muss es nicht um der Nation willen tun. Es gibt ja schon einen Drop-Out durch die sozialen Bedingungen im Spitzensport, die es nicht leicht machen, sauber zu bleiben. Die wollen sich so einem Spitzensportsystem nicht aussetzen.
Gibt es denn eine Möglichkeit, dieses System zu ändern? Das Innenministerium muss ja irgendwie eine Effektivität überprüfen. Ist es überhaupt möglich eine quantifizierbare Effizienz ohne dopingfördernden Leistungsdruck überhaupt möglich?
Singler: Medaillen zu verlangen und zu glauben, man könne sauber arbeiten, ist im Einzelfall sicher möglich, aber sehr oft ist es nicht möglich. Es passt nicht zusammen, beides zu fordern. Richtige Prävention und sauberer Sport hat zur Folge, dass man weniger Medaillen gewinnt. Wenn man wirklich sauberen Sport will, muss man im Zweifel auf Medaillen zu verzichten.
Wie sich Verbände und Ministerium aus der Verantwortung stehlen und die Schuld beim Sportler abladen, habe ich gestern hier im Blog beschrieben. Morgen geht es weiter mit: Lösungen. Soziologe Karl-Heinrich Bette hat 15 Thesen für einen besseren Anti-Doping-Kampf, die ich hier veröffentlichen werde, inklusive kleinem Podcast.
Das Foto ist unter CC-BY-SA-Lizenz von Angus Kinston auf flickr.com
5. Mai 2012 -
[…] In den ersten beiden Teilen meiner Mini-Serie zur Dopingbekämpfung in Deutschland habe ich über Fehler in der Dopingprävention geschrieben und mit Andreas Singler über die politischen Hintergründe des Dopingkampfes gesprochen. […]