So oder ähnlich könnte das Motto lauten, einigten sich die deutschen Sportjournalisten basisdemokratisch auf einen Leitspruch zur Berichterstattung über die dunkle Seite des Sports. Vielen Journalisten ist das Thema unangenehm. Korruption, Doping, politisches Geschacher – können wir nicht lieber ne Meldung über die Aufholjagd der Bayern bringen? Zu den aktuellen Berichten um bestochene FIFA-Funktionäre hier ein Beitrag über Korruption im Sport und wie der sogenannte Sportjournalismus in den vergangenen Jahren damit umgegangen ist.
(Der Beitrag ist auch auf dem Blog der Initiative Nachrichtenaufklärung erschienen)
Korruption im Sport – die aktuellen Berichte über bestochene Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees, quasi der FIFA-Regierung, schlagen hohe Wellen. In den Fernseh- und Radio-Nachrichten, in allen Tageszeitungen. Selten genug wird über Korruption im Sport, über Doping im Fußball, Wettmanipulationen oder das politisches Geschacher um Steuermittel berichtet. Die Haus- und Hofberichterstattung über König Fußball füllt die Sportseiten und Nachrichtensendungen. Auch der aktuelle Korruptionsskandal wird wohl bald wieder verdrängt und vergessen sein.
Die BBC-Dokumentation des britischen FIFA-Experten Andrew Jennings (Die Teile eins und zwei bei Youtube) beschuldigt drei Exekutivmitglieder der Bestechlichkeit. In Listen, die Jennings sowie verschiedenen deutschen Journalisten wie Jens Weinreich und Thomas Kistner sowie dem Schweizer Jean Francois Tanda vorliegen, sollen Überweisungen von zum Teil mehreren Millionen Euro an die FIFA-Mächtigen Ricardo Teixeira, Joao Havelange und Nicolas Leoz verzeichnet sein. Bestechungsgelder. Am morgigen Donnerstag sollen alle drei über die WM-Vergaben 2018 und 2022 entscheiden, so zumindest der aktuelle Stand am Mittwochmittag. Heute schreibt die Süddeutsche Zeitung, die Entscheidung über die WM-Vergaben 2018 und 2022 könnte unwirksam sein. Das sagt zumindest die Anwältin des vor kurzem suspendierten Reynald Temarii, die eventuell gerichtlich gegen dessen Suspendierung vorgehen will.
Die Sportfamilie, selten genug wird kritisch über sie berichtet. Dabei ist seit vielen Jahren klar, dass der Sport keine heile Welt ist. Ganz im Gegenteil. In vielerlei Hinsicht hat der Sport Sonderrechte, pocht immer wieder auf seine Autonomie. Und obwohl er sich zu großen Teilen aus Steuermitteln finanziert, schaut niemand genau hin, was mit dem Geld eigentlich passiert. Häufig genug wird im Sport unter der Hand gedealt, fließen Schmiergelder, gibt es Postengeschacher und geheime Absprachen. Das IOC ist 2008 mit dem Titel „Intransparentestes Unternehmen der Welt“ bestückt worden, im selben Jahr verlieh das Netzwerk Recherche dem IOC die „Verschlossene Auster“, der „Negativpreis für Auskunftsverweigerer in Politik und Wirtschaft“. Die Begründung: Das IOC dulde „seit vielen Jahren Korruption und Interessenkonflikte bei der Vergabe der Spiele“ und betreibe mit seiner „Informationspolitik das Gegenteil von fair play“. In diesem Jahr ist das IOC für den Public Eye Award nominiert, also für den Titel des „übelsten Unternehmen des Jahres“, weil es bei den Winterspielen in Vancouver die indigene Bevölkerung vertrieben habe. „Es ist verwerflich, dass global operierende Konzerne an den Spielen Millionen verdienen, während lokale soziale Versprechen nicht eingehalten werden“, so die ausrichtende Organisation „Erklärung von Bern“. Hätten die Preisverleiher das IOC durch die FIFA ersetzt, sie hätten die Begründung wohl stehen lassen können.
Pflichtlektüre zum Thema ist das Buch „Korruption im Sport“. Dort beschreibt die Kriminologin Britta Bannenberg, dass es nicht immer leicht ist, dem korrupten Sport mit rechtlichen Mitteln beizukommen. Bei Korruptionsfällen wird ohnehin angenommen, dass etwa 95% Prozent nicht bekannt werden, da es an Geschädigten fehlt: Beide Seiten profitieren. Eine Seite bekommt den Auftrag/den Sieg/die Stimme, die andere das Geld. Im Sport ist das Problem noch größer, denn aufgrund rechtlicher Schwierigkeiten können selbst aufgedeckte Korruptionsfälle wie Spielmanipulationen manchmal nicht bestraft werden. Bannenberg schreibt:
„Schon im ersten Bundesligaskandal des Spieljahrs 1970/71 wurde gegen den Vorsitzenden eines Bundesligavereins wegen der Verwendung von 100000 DM aus dem Vereinsvermögen zur Bestechung von Gegenspielern für ein Spiel um den Abstiegskampf ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue geführt, wo sich die Unsicherheiten einer Verurteilung für diesen Fall zeigten. Im gelungenen Fall überwiegt nämlich der Gewinn durch den Verbleib in der Bundesliga den Einsatz der Schmiergelder bei weitem.“
Die aktuellen Enthüllungen entspringen Recherchen aus dem Skandal um den Sportrechtevermarkter ISL/ISMM. 2001 ging die Firma insolvent, 2008 wurden während des Prozesses gegen die Firma Zahlungen in Höhe von 140 Millionen Schweizer Franken an hohe Funktionäre bekannt. Gegen bestechliche Sportfunktionäre kann in der Schweiz nach bisheriger Gesetzeslage aber nicht ermittelt werden. Das ist sicher – neben Steuervergünstigungen – ein Grund, warum so viele große Sportverbände ihren Sitz in der Schweiz haben. Spätestens seit 2008 hätte ständig über diesen Skandal berichtet werden müssen. Durch einen Korruptionsverdunklungsvertrag erreichte die FIFA damals, dass die Namen der bestochenen Funktionäre nicht öffentlich wurden. Erst jetzt, durch Andrew Jennings, kommt das Thema wieder hoch. Die allermeisten Sportberichterstatter, die sich Journalisten nennen, haben sich in der Zwischenzeit nicht dafür interessiert. In Deutschland kümmern sich nur wenige Journalisten um die Problematik. Darunter der freie Journalist Jens Weinreich. In einem Interview mit mir) sagte er im Sommer: „Welche Geschäfte mit dem Fußball gemacht werden, wer da wie beteiligt ist, da geht keiner ran. Auch keiner der sogenannten ‚football writer‘. Beispiel Fußball WM 2006: Da hat niemanden interessiert, wo das Geld hinfließt. Wo der Boulevard sich mit Franz Beckenbauer verbündet, wird nicht kritisch nachgefragt.“
Viel zu oft werden nach Sport-Skandalen die Themen wieder schnell beiseite geschoben oder gar nicht erst aufgegriffen. Über den ISL-Skandal beispielsweise ist seit 2008 kaum berichtet worden. Wer in dem sehr gut gefüllten Medienarchiv Genios von Anfang 2008 bis zu den neuen Bestechungsvorwürfen Mitte Oktober 2010 nach der Schlagwortkombination „ISL“ und „Skandal“ sucht, findet in deutschsprachigen Medien genau elf Berichte. Wer sich im selben Zeitraum für „Gomez“ und „Chancentod“ interessiert, bekommt dagegen 46 Texte. Ist die mittlerweile überwundene Abschlussschwäche von Mario Gomez relevanter als millionenschwere Bestechungen bei der Vergabe von TV-Rechten und Weltmeisterschaften?
In den Sportjournalismus gehen vor allem die Fußballfans, die es auf die andere Seite der Bande geschafft haben, so ein altbekannter Spruch. Wer sich als Sportjournalist kritisch mit Themen auseinandersetzt, fällt sofort auf. Hans Leyendecker schreibt in seinem Beitrag zum erwähnten Buch „Korruption im Sport“:
„Wer kritisch fragt, kann rasch zum Außenseiter werden. Wer kritisch schreibt, gilt manchem als Nestbeschmutzer. Denn angeblich sitzen doch alle in einem Boot. Wer den Kurs vorgibt, ist egal. Abstand halten? Warum? Erich Laaser, Frontmann im VDS, dem Verband Deutscher Sportjournalisten, appellierte vor einiger Zeit im VDS-Mitgliedermagazin an die Kollegen, die Organisatoren der Fußball-WM 2006 ‚mit Respekt‘ zu behandeln, damit es ’störungsfreie Spiele‘ würden.“
Dabei ist auch die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland längst nicht so ehrlich und fair abgelaufen, wie manch einer denken könnte. Thomas Kistner beschreibt dies im selben Buch (hier das Inhaltsverzeichnis).
Ich bin mal gespannt, wer sich im Hinblick auf die Frauen-WM 2011 mit deren Vergabe und den Geschäften des DFB befasst. Jens Weinreich schreibt in einem aktuellen Beitrag für die Berliner Zeitung, in der auch die Vorgänge um die WM 2006 noch einmal angerissen werden: „Der DFB hat zuletzt einen Deal mit Australien geschlossen – Australien zog seine Bewerbung für die Frauen-WM 2011 zurück, wodurch Deutschland WM-Gastgeber wurde. Dafür versprachen die Deutschen, sich für die WM 2022 in Australien stark zu machen, was sie zumindest mit personeller Unterstützung durch den zwielichtigen Berater und Beckenbauer-Intimus Fedor Radmann und andere Dienstleistungen taten.“
Deutschland ist ganz vorne dabei, wenn es um Geld- und Postengeschacher im Weltsport geht. Dass es der deutsche Horst Dassler war, der den Weltsport mit einem System korrupter Marionetten-Funktionäre überzog, wird so gut wie nie erwähnt. Dassler war einst Chef des mittlerweile zweitgrößten Sportartikel-Konzerns der Welt – adidas.
Das Problem der Korruption im Sport findet in der Öffentlichkeit jedoch wenig Beachtung, wie Gernot Moser in seiner Diplomarbeit (hochgeladen von Jens Weinreich hier) aus dem Jahr 2007 schreibt. „Bei einer Umfrage der Demoskopie Allensbach im Jahr 2005 führten lediglich 8% der Befragten auf die Frage, wo sie am ehesten ein Problem durch Korruption sehen, Sport als Antwort an.“ (Seite 52/53). Medial wird außer bei großen Skandalen, die stets von den üblichen Verdächtigen ans Licht geholt werden, kaum über das strukturelle Problem berichtet. Vergleicht man die Enthüllungen mit der Masse der sonst üblichen Jubel-Berichterstattung, ist die Quote unglaublich gering. Und statt den Vorwürfen wie den nun von Andrew Jennings ans Licht geholten Bestechnungen selbst weiter nachzugehen, machen manche Kollegen sogar dessen Arbeit schlecht.
Wann hat jemand zum letzten Mal etwas über Doping im Fußball gelesen? Über die Finanztricks der heillos verschuldeten Vereine? Über gierige Profivertreter und darbende Amateurvereine? Selbst über Wettmanipulationen gibt es meiner Meinung nach zu wenig substanzielle Berichterstattung. Wer glaubt denn ernsthaft, dass nach dem Prozess in Bochum alles wieder gut ist und alle Sünder überführt sind?
Andere Sportarten werden wenigstens hin und wieder kritisch angefasst. Leichtathletik, Radsport, Schwimmen. Meist erschöpft sich Sportberichterstattung aber in Nacherzählungen, Portraits, netten Interviews. Besonders im Fernsehen. Einen guten Beitrag zum Thema hat Thomas Kistner vor sechs Jahren geschrieben. Sport ist genau so kritisch zu betrachtender Bestandteil unserer Gesellschaft wie Wirtschaft oder Politik. Vielleicht sogar noch mehr. Unter dem Deckmantel von Bewegung, Fairness und Goldmedaillen versteckt sich offenbar noch viel mehr Korruption und Kriminalität als in den schlimmsten Wirtschaftsunternehmen.
Ein paar empfehlenswerte Bücher zum Thema:
Korruption im Sport – Jens Weinreich (Hg.)
Doping im Radsport – Ralf Meutgens
Sichere Siege – Declan Hill
Links zum Thema gibt es auch auf den Seiten des Sportnetzerks. Dessen erste und bislang einzige Konferenz im Jahr 2008 in Dortmund war für mich persönlich extrem wichtig (Dokumentation mit zahlreichen Berichten).
1. Dezember 2010 -
Guter Text, doch fehlt mir ein wenig deine Schlussfolgerung.
2. Dezember 2010 -
So etwas wie eine Forderung?
– Behandelt den Sport nicht mehr mit Samthandschuhen!
– Nehmt – besonders als öffentlich-rechtliche Medien – euren Auftrag wahr und kehrt im Kommerz-Sport das Verhältnis von Unterhaltung zu Watchdog-Journalismus ins Gegenteil!
– Holt Wirtschafts- und Politikjournalisten dazu und arbeitet euch in Recherche-Teams an den großen Sportskandalen ab!
– Gründet Stiftungen/NGOs, welche die Entwicklungen im Sport beobachten, überwachen, transparent machen. Schafft eine Gegenöffentlichkeit für die Sportpropaganda!
1. Juli 2011 -
[…] recherche (“…nur dass die Hure zahlt”) war zuletzt nicht uninteressant, ging aber auf den Kern der sportjournalistischen Probleme nicht ein, klammerte sich viel zu sehr an das leidige Thema der […]