Das Reiseziel hatte sich Viola von Cramon gut überlegt: Die Schweiz. Dutzende Sportverbände haben hier ihren Sitz. Korruption und Doping dominieren die Sport-Schlagzeilen – was liegt näher als mit Offiziellen und Funktionären zu reden? Doch dazu kommt es nicht. Statt in die Schweiz fährt der Sportausschuss des Bundestages vom 4. bis zum 8. Februar 2013 nach Sotschi. Die schwarz-gelbe Mehrheit hat die Reisepläne gekippt, jetzt geht es Olympia-Bauten angucken.
Viola von Cramon war vor einem Jahr schon einmal mit ihrem Mitarbeiter in der Schweiz unterwegs, hatte sich mit Funktionären getroffen, mit Kritikern und Offiziellen. Die Reise hat sich gelohnt, findet die Grünen-Politikerin. Neue Erkenntnisse für die Arbeit als Abgeordnete, für so etwas sind Ausschussreisen des Bundestages da. Von Cramon hatte ihren Kollegen deshalb die Schweiz als Reiseziel für die obligatorische Ausschussreise Anfang 2013 vorgeschlagen. Die Kollegen hatten nichts dagegen.
Vor wenigen Wochen haben CDU/CSU und FDP die Schweiz-Pläne nach WAZ-Informationen jedoch gemeinsam mit der Linken gekippt. Im internen Obleute-Gespräch der sportpolitischen Sprecher der Fraktionen hatten CDU und FDP sich am 24. Oktober für den Reiseort Sotschi entschieden, den Austragungsort der nächsten Olympischen Winterspiele. Ein Jahr vor Beginn der Spiele wollen sich Riegert & Co vom Fortschritt der Bauten überzeugen, über den Umweltschutz, die Nachhaltigkeit und die Menschenrechts-Situation informieren.
Hat der DOSB Einfluss auf die Reisepläne genommen?
Warum die Kehrtwende? Martin Gerster, Sportsprecher der SPD-Fraktion, hat eine Vermutung: “Interessant wäre zu erfahren, ob der DOSB den Wunsch einer Reisezielveränderung an Schwarz-Gelb herangetragen hat.” Hintergrund: Kritische Fragen von deutschen Politikern in Schweizer Verbänden könnten DOSB-Präsident Thomas Bach bei seiner Kandidatur zum IOC-Präsidenten im Herbst 2013 schaden. Eine Einmischung in die Reisepläne des Sportausschusses? Das dementiert der DOSB auf Nachfrage. Klaus Riegert, CDU-Sportsprecher, hatte vergangene Woche keine Zeit für meine Fragen.
FDP-Sportsprecher Lutz Knopek schreibt, es könne nicht von einer Verlegung der Reise gesprochen werden, es seien stets beide Ziele in der Diskussion gewesen. Die SPD widerspricht dem, die Wahl sei schon im Juni auf die Schweiz gefallen. “Inhaltlich sind beide Reiseziele aus meiner Sicht gleichwertig”, schreibt Knopek.
Auch Katrin Kunert von der Linken hatte überraschend gemeinsam mit der Koalition für den Reiseort Sotschi gestimmt. Auf Anfrage reagierte sie pikiert: “Da Sie schon diese Information hatten, als nicht einmal alle Mitglieder des Ausschusses in Kenntnis gesetzt werden konnten, empfehle ich Ihnen, sich an Ihre Quelle zu wenden. Ihre Quelle wird sicher mit allen Details behilflich sein.” Inhaltlich wollte sich Kunert nicht äußern.
Sportausschuss als Reiseausschuss
Viola von Cramon bedauert die Verlegung. Als Sitz von über 70 internationalen Sportverbänden komme der Schweiz eine besondere Bedeutung zu, sportpolitisch dränge sich ein Besuch geradezu auf. “Warum die Kollegen nun anders entschieden haben, erschließt sich mir nicht”, schreibt von Cramon. “Das wäre die Chance gewesen, den Sportausschuss nicht mehr nur als klassischen Reiseausschuss wahrzunehmen.” Zu den Abläufen im internen Obleute-Gespräch wollte sich von Cramon nicht äußern.
Der Sportausschuss steht seit Jahren in der Kritik, kaum inhaltlich zu arbeiten. Im Frühjahr dieses Jahres war eine Delegation des Ausschusses nach Brasilien gefahren, um sich von den Fortschritten der dortigen Vorbereitungen auf Fußball-WM und Olympische Sommerspiele zu überzeuen. Vor einem Jahr hatte der Sportausschuss negative Schlagzeilen gemacht, weil er die Öffentlichkeit auf Antrag der schwarz-gelben Regierungskoalition von seinen Sitzungen ausgeschlossen hatte.
Der Sportausschuss hat im Bundestag nur beratende Funktion und trifft selbst keine Entscheidungen. Von Kritikern wird in regelmäßigen Abständen gefordert, den Ausschuss abzuschaffen. Reisen an exotische Orte und Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit kommen deshalb besonders schlecht an.