Die Bundeswehr muss sparen. Etwa 30 Millionen Euro gibt das Verteidigungsministerium jedes Jahr für Sportsoldaten aus. Brauchen wir Staatssportler? Und falls ja: Müssen das unbedingt Sportsoldaten sein? Ich finde: Nein. Wenn schon vom Staat finanziert, dann wenigstens mit richtiger dualer Perspektive, mit Ausbildung und Studium neben dem Sport. Zum Thema habe ich bei Zeit-Online veröffentlicht. Das Innenministerium verteidigt das System Sportsoldat in einem unten im Original zu lesenden Dokument an den Rechnungsprüfungausschuss. Doch das BMI miss mit zweierlei Maß und argumentiert falsch.
Es gibt in Deutschland etwa 750 Sportsoldaten, dazu etwa 200 Sportzöllner, Sportpolizisten und Sportfeuerwehrmänner. Bei den Sportlern, die von Zoll, Polizei und Feuerwehr gefördert werden, wird die Ausbildung gestreckt, so dass sie Zeit zum trainieren haben. Nach der Sportkarriere arbeiten sie dann trotzdem meist als Zöllner, Polizist oder Feuerwehrmann. Das finde ich vernünftig.
Bei den Sportsoldaten ist das anders. Fast alle müssen im Anschluss an ihre Karriere umschulen, weiterbilden, einen Neuanfang starten. Kaum ein Sportsoldaten verteidigt Deutschland später am Hindukusch – oder wo auch immer. Warum also gibt es Sportsoldaten? Warum bekommen vielversprechende Talente – so man denn geförderte Sportler haben will – nicht ein Stipendium, mit dem sie etwas Sinnvolles anfangen könne? Studieren zum Beispiel oder irgendeine gestreckte Ausbildung absolvieren, die ihren Interessen und Talenten entspricht?
Dieter Hackfort, Sportpsychologe an der Bundeswehr-Uni in München, sagt:
„Die Sportler sollten bedrängt werden, sich schon während der Zeit als Sportsoldat um ihre Ausbildung zu kümmern. Heute ist E-Learning doch vergleichbar mit dem Studium an einer Präsenz-Uni, die Athleten haben alle Möglichkeiten. Aber bislang müssen sie in den Sportfördergruppen nur Sport machen und hin und wieder antreten. Die haben sehr viel Zeit, um rumzuhängen. Für die Persönlichkeitsenwicklung ist das nicht gut. Und auch nicht für den Sport. Die werden dann insgesamt zu Rumhängern.“
Hackfort glaubt, man müsse die Sportler stärker fordern. „Wer hart trainiert, kann danach trotzdem noch am Computer sitzen. Und wer seine Ausbildung vorantreibt, freut sich richtig aufs abendliche Training. Außerdem kann der Sportler auch von den Transfereffekten profitieren: Organisationstalent oder Disziplin können auch im Beruflichen umgesetzt werden. Aber das klappt nicht automatisch, das muss von außen angestoßen werden.“ Ein Stipendienmodell wäre auf jeden Fall besser, sagt Hackfort, der seit drei Jahrzehnten auch Sportsoldaten psychologisch betreut. Man könne die Totzeiten zwischen den Trainingseinheiten viel besser nutzen, als es derzeit bei der Bundeswehr geschehe.
„Einige Sportler haben zum Ende der Bundeswehr-Zeit nicht genug in der Hand, da muss man die Sportler frühzeitig drauf aufmerksam machen. Es müssen attraktive Angebote gemacht werden. Die Möglichkeiten dazu sind da, aber es kümmern sich zu wenig Leute darum. Die Organisation, die für unabhängige Stipendien zuständig wäre, wäre die Deutsche Sporthilfe. Wenn Sie die Sportler zu guten Ausbildungen anstiften würde, hätte sie später wiederum auch potente Spender. Man könnte auch ohne großen Aufwand recht viel optimieren.“
Weitere Argumente gegen das aktuelle Modell der Sportsoldaten hat Ruder-Olympiasieger und Uni-Professor Wolfgang Maennig vor ziemlich genau einem Jahr in einem sehr schönen taz-Interview von Markus Völker genannt. Maennig sagt unter anderem:
- „Wenn sich das Bild festigt, dass Sportler anschließend kaum angemessene gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten haben, werden sich Jugendliche vom Sport abwenden.“
- „Auch die trainingsintensivsten Sportarten füllen nicht den ganzen Tag. Skatspiel und Fernsehen nehmen einen zu großen Teil des Tages ein. Die Langeweile überträgt sich mittelfristig auch auf das Training – mit dem Effekt, dass sich einige Sportler bei der Bundeswehr sportlich schlechter entwickeln, als sie dies ohne Bundeswehr tun könnten.“
- „Ein System, welches signalisiert, dass man, um sportlichen Erfolg zu haben, Sportsoldat werden muss, wird langfristig denkende, bildungsaffine Jugendmilieus zukünftig vom Spitzensport abhalten.“
- „Es ist doch die Frage, weshalb der Staat seine finanzielle Unterstützung über die Bundeswehr in den Spitzensport fließen lässt, anstatt das Geld erfahrenen Institutionen zweckgebunden zu geben.“
Ende 2009 kritisierte auch der Bundesrechnungshof die Sportabteilung des Verteidigungsministeriums. Die wichtigsten Punkte:
- der Auftrag zur Sportförderung stamme noch aus dem Jahr 1968 (als noch ganz andere politische Verhältnisse herrschten, kalter Krieg und so)
- die Sportabteilung führe ein Eigenleben – ohne Erfolgskontrolle und Konzept
- es fehle an „Haushaltsklarheit und -wahrheit“: weder Höhe noch Dauer der Förderung sei erkennbar
- und es fehlten Belege, „dass diese Förderung effektiver sei als etwa die Vergabe von Stipendien“
Die ausführliche Kritik findet sich in den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 2009 ab Seite 158.
Das Innenministerium musste Stellung nehmen. 15 Seiten schrieb es an den Rechnungsprüfungsausschuss. Und es verteidigte das System Sportsoldat. Angeblich schafft das aktuell gültige System „die notwendigen Rahmenbedingungen zur Ausübung des Spitzensports auf einem international wettbewerbsfähigen Niveau und bewirkt zugleich die berufliche und soziale Absicherung.“
Die Stellungnahme gibt es hier im Blog exklusiv als Original.
BMI Stellungnahme Einbindung Spit Zen Sport Danieldrepper.de
Entscheidendes Argument des BMI zur Beibehaltung des Sportsoldaten-Systems ist die berufliche Absicherung der Sportsoldaten, die so viel besser sei als bei den zum Vergleich herangezogenen Sportstipendien aus Kanada, Russland, den USA und Norwegen sowie bei der deutschen Sporthilfe. Doch das BMI misst gleich doppelt mit zweierlei Maß.
- Erstens kritisiert es bei den angesprochenen Stipendien, dass der Sportler nur während der Dauer seiner sportlichen Karriere gefördert werde. Danach stehe er ohne Förderung da. Dabei ist das bei der Bundeswehr genauso. Wer seine Karriere beendet, muss gehen. Danach gibt es kein Geld mehr.
- Zweitens behauptet das Ministerium, der Sportsoldat sei durch Weiterbildung auf eine Karriere nach der aktiven Sportlerzeit vorbereitet. Dies sei ein entscheidender Vorteil gegenüber den Stipendienmodellen. Nicht nur, dass diese Behauptung auf sehr wackligen Füßen steht (siehe oben), sie wird auch den verglichenen Stipendien nicht gerecht. Im Gegensatz zu Sportsoldaten haben die Stipendiennehmer oft die freie Auswahl, was sie neben ihrer Trainingszeit anstellen, ob, wo und wie sie sich weiterbilden. Ich behaupte: Die Stipendiennehmer sind nach ihrer sportlichen Karriere im Durchschnitt besser auf das Leben danach vorbereitet, als die Sportsoldaten.
- Und was noch dazu kommt: Das BMI hat gar nicht erst versucht, auf Grundlage der Fördermittel ein eigenes, neues, alternatives Stipendienmodell durchzurechnen. Offiziell, weil der Rechnungsprüfungsausschuss in seinem Prüfauftrag an das Ministerium „keine Aussagen über eine mögliche inhaltliche Ausgestaltung alternativer Fördermodelle“ getroffen habe. Kreativität nur auf Anweisung.
Derzeit kostet eine Sportsoldatenstelle etwa 40000 Euro im Jahr. Wie viel ambitionierte Sport-Talente man damit sinnvoll fördern und fordern könnte …
3. Februar 2011 -
[…] Thema Sportsoldaten habe ich auch mit Sportausschuss-Mitglied Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) gesprochen. Er […]
18. März 2011 -
[…] gleich mal seinen für die Bundeswehrreform zuständigen Staatssekretär aus. Mal sehen, wie es mit den Sportsoldaten weitergeht. Als Innenminister folgt Hans-Peter Friedrich. Der Deutschlandfunk mit einer […]
10. Mai 2011 -
nolympia.de: Vancouver 2010: Die Siege der deutschen “Sportsoldaten”
„Fazit: Wie unfair dieser gezielte Einsatz gegenüber kleineren Ländern oder Ländern ist, die ihre Sportler nicht derart privilegieren und ihnen mit hohem materiellen Einsatz uneinholbare Vorteile verschaffen, liegt auf der Hand. Wo bleiben hier Sportlichkeit, Fairness, Chancengleichheit oder gar die hehre „Olympische Idee“? Alle nicht staatlich alimentierten Sportler werden benachteiligt. Der „Spitzensport“ ist durch den hohen Anteil an Sportsoldaten und Staatssportlern zur Farce verkommen.“