Angeblich greifen nur ein Prozent der Deutschen zu Dopingmitteln. Das zumindest sagt eine im Mai vorgestellte Studie des Bundesgesundheitsministeriums. Dopingexperte Perikles Simon glaubt, dass schon vorher klar war, was rauskommen soll.
Doping im Breitensport ist hier im Blog schon länger Thema. Im Gegensatz zum Doping im Spitzensport betrifft es nicht ein paar Tausend, sondern Millionen Bürger. Die Strukturen dahinter sind häufig kriminell, Fahnder berichten von organisierter Kriminalität und Gewinnmargen von bis zu 1000 Prozent. Trotzdem kümmert sich kaum jemand darum. Das hatte ich schon vor einem Jahr in einer längeren Recherche herausgearbeitet.
Im Mai hatte das Bundesgesundheitsministerium nach langem Warten eine Studie zum Thema vorgestellt – ich hatte nach der Ankündigung fast ein Jahr lang regelmäßig danach gefragt. Diese Kolibri genannte Studie lieferte jedoch ein erstaunlich niedriges Ergebnis. Schon im Mai hatte Mischa Kläber mir gegenüber bei ZDFonline und im Deutschlandfunk den Aufbau der Studie und die Ergebnisse bezweifelt. Kläber hat selbst jahreland zum Thema geforscht und ist Doktor am Sportsoziologischen Institut von Professor Bette in Darmstadt.
Damit wäre es gut gewesen. Eine Studie, wenig Aussagekraft, 160.000 Euro Steuergeld. Aber es geht weiter: Anfang Oktober beschäftigte sich das ZDF eine halbe Stunde lang mit Doping im Breitensport. In der Dokumentation „Die tägliche Dröhnung“ wird auch Ulrike Flach zitiert. Flach ist parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Zum Doping im Breitensport sagt sie dem ZDF:
„Wir halten es natürlich für ein Thema, wo wir aufpassen müssen, aber wir halten es auch medial für deutlich überbewertet. Wir haben uns in der Vergangenheit natürlich bemüht, entsprechende Studien auf den Weg zu bringen – Kolibri zum Beispiel – und mussten feststellen, dass es natürlich ein Problem gibt, aber bei weitem nicht in der Größenordnung, wie es sehr oft berichtet wird.“
Fläch hält Doping im Breitensport also medial für deutlich überbewertet. Als Beweis dient ihrem Ministerium: Die Kolibri-Studie. Ungeachtet der Kritik von Mischa Kläber. Kritisiert hatten die Studie zudem – wie ich mittlerweile wusste – auch Michael Sauer von der Deutschen Sporthochschule in Köln und Perikles Simon aus Mainz. Sauer und Simon waren im Vorfeld vom Gesundheitsministerium gemeinsam mit drei weiteren Experten befragt worden und hatten das Design der Befragung schon im Vorfeld als wenig sinnvoll bewertet. Jetzt vermutet Perikles Simon, dass dieses niedrige Ergebnis Absicht gewesen sei.
„Ich muss ganz ehrlich sagen ich habe in dem Fall die Befürchtung, dass es Kalkül ist. Dass man wirklich auf ganz anderer Ebene entscheidet: Wir haben vermeintlich wichtigere Probleme. Aber ich sage halt: Ich weiß nicht, ob dieses Problem nicht sogar schlimmer ist. Und das wird hier wohl von vornherein in Zweifel gezogen und das wird dann in die Richtung gelenkt, dass man wohl ne Studie in Auftrag gibt, von der man vorher weiß, was bei rauskommen wird.“
Ende Januar 2009 hatte das Gesundheitsministerium eine Handvoll Experten zu einem Gespräch nach Bonn geladen. Im Vorfeld hatte es geheißen, man plane eine Studie, die Wissenschaftler sollten Vorschläge einbringen. Die anwesenden Experten konnten laut Perikles Simon aber nicht wirklich mitbestimmen. Das Ministerium schreibt auf meine Anfrage, Art und Umfang der Studie seien vorab nicht festgelegt worden. Simon sagte mir dagegen, es habe schon festgestanden, dass tausende Bürger mit einem Standard-Fragebogen befragt werden.
„Da haben wir eigentlich recht unisono gesagt: Das kann man doch so nicht erheben. Es ist relativ klar, dass die Dunkelziffer so massiv unterschätzt wird, weil man natürlich nicht erwarten kann, dass der Manager im Stress, dass der Bodybuilder, der gern etwas mehr Muskeln hätte, die Muße aufbringt, einen halbstündigen Telefonsurvey über sich ergehen zu lassen.“
Vor der Befragung hatte Perikles Simon dem Robert-Koch-Institut noch einmal mit drastischen Worten klar gemacht: „Das Ergebnis dieser Studie können sie komplett vergessen.“ Auch der Kölner Experte für Doping im Breitensport Michael Sauer war mit dem Aufbau der Studie nicht einverstanden. Ministerium und Robert-Koch-Institut blieben dennoch bei ihrem Konzept. Das Ministerium schreibt auf Anfrage: Im Rahmen der Vorbesprechung seien keine Vorbehalte geäußert worden.
Erneut Simon:
„Man wurde dann nur noch mit so einem Fragebogen konfrontiert, der per Telefon durchgeführt werden sollte. Ich habe dann nochmal gesagt und betont, dass das nicht sinnvoll ist, das so zu machen. Andere Experten haben sich dort angeschlossen, das auch betont, wir haben dann unisono nichts mehr gehört und dann zum Schluss nur noch unsere Namen als Experten unter dieser Studie gefunden. Und das ist natürlich dann die Sache, die das Ganze auf die Spitze treibt, weil ich dann natürlich auch von Dritten drauf angesprochen wurde: Wieso steht mein Name unter dieser grottenschlechten Studie, so in etwa war der Tenor von den Kollegen.“
Das Gesundheitsministerium weist die Vorwürfe zurück. Die Studie basiere auf internationalen Standards. Natürlich müsse man dabei immer abwägen: Was will ich wissen und was kann ich mir leisten? Das Ministerium gibt zu, dass die Zahl der Freizeitdoper mit der Studie unterschätzt wird. Dieser „systematische Fehler“ sei bei solchen Studien üblich, aber nicht quantifizierbar.
Und das Zitat von Staatssekretärin Ulrike Flach, Doping sei in den Medien deutlich überbewertet? Angeblich ein grobes Missverständnis.
Hintergründe zur Recherche
Ich habe versucht, alle fünf unter der Studie genannten externen Experten zu kontaktieren. Hans Geyer war länger im Urlaub, Carl Müller-Platz und Ilse Hartmann-Tews hatten für ihren Bereich keine Beschwerden gegen Kolibri vorzubringen.
Ich habe zwei Mal mit dem Pressesprecher des Ministeriums telefoniert. Ein Teil der im Text verbauten Antworten stammt aus den Telefonaten, ein anderer Teil aus meiner offiziellen Anfrage. Die Anfrage und die kompletten Antworten verlinke ich hier als pdf:
20111028 Kolibri Antworten Bundesgesundheitsministerium.
Meine Meinung
Wie in meiner oben bereits verlinkten, ausführlichen Geschichte zum Doping im Breitensport hoffentlich deutlich wird, ist das Problem meines Erachtens vergleichsweise weit verbreitet. Ich finde auch, dass es den gemeinen Bürger mehr betrifft, als es das Doping im Spitzensport tut. Um zu vermeiden, dass sich Doping im Breitensport weiter ungehindert ausbreiten kann, sollte mehr dagegen getan werden. Ich denke das auch, weil ich als Läufer und Triathlet selbst betroffen bin.
Da kommt das Geld her
Die Recherche lief am Samstag im Deutschlandfunk. Die 3:55 Minuten kann man sich hier anhören.